Pisa © Roland Salz 2000 - 2015
Roland Salz                                                                      
                                                                      Meditationen über Architektur

IV. Vom Fürstbischof zum Werk Unserer Lieben Frau

 

Im Jahre 870 beugten sich Karl der Kahle und Ludwig der Deutsche wieder einmal über die Landkarten Europas, diesmal in Meersen, und nahmen eine neuerliche "Teilung" vor. Diesmal wurde das Elsaß und damit Straßburg dem Ostreich zugeschlagen, dem späteren Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.

          Schon im frühen Mittelalter hatte es der Bischof - nach erfolgreich abgeschlossener Missionierung - in Straßburg zum größten Grundbesitzer gebracht. Unter dem Sachsenkönig und späteren Kaiser Otto dem Großen (936-973) erlangte er eine dominierende politische und wirtschaftliche Machtstellung, die sich weit über die Stadtgrenzen hinaus auf den ganzen oberrheinischen Bereich erstreckte. Vom Herrscher des Reiches erhielt er die Rechte eines Grafen und das Münzrecht. Der Bischof war es fortan auch, der den Handel der Stadt kontrollierte. Otto der Große versprach sich von seiner Politik, geistige Oberhäupter zu weltlichen Fürsten zu machen und damit die alteingesessenen regionalen Herrscher in ihren Machtbereichen zu beschneiden, eine Stützung des noch jungen sächsischen König- und Kaisertums in Deutschland, das sich gegen die mächtigen anderen deutschen Stämme behaupten und seine errungene Vormachtstellung festigen mußte.

          So standen sich bald überall im Reich königstreue Bischöfe und verbitterte weltliche Regionalfürsten in Streitereien gegenüber. Auch der Bischof von Straßburg hatte es trotz seiner erhaltenen Privilegien noch nicht zum unumschränkten Herrscher in der Stadt gebracht. Noch gab es neben ihm den Herzog von Elsaß-Schwaben, der ebenfalls in Straßburg residierte. Als Bischof Wernher (1001-1028) im Jahre 1002, bei der Königswahl nach dem Tod Ottos III., des letzten Sachsenkaisers, seinen alten Freund, den Herzog Heinrich von Bayern unterstützte und nicht etwa Herzog Heinrich von Elsaß-Schwaben, rächte sich letzterer an Wernher dadurch, daß er dessen karolingisches Münster zerstören ließ.

          Einmal gewählt, übte der neue König Heinrich II. Vergeltung: er zwang Heinrich von Elsaß-Schwaben, sein Straßburger Kloster zum hl. Stephan (das heutige Saint-Étienne) an Wernher abzutreten, was vor allem wegen der daraus bezogenen Einkünfte nicht ohne Bedeutung war. Wernher, ein machtbewußter Habsburger, entschloß sich zu einem vollständigen Neubau des Münsters, mit natürlich weit größeren Ausmaßen als denen des vorangegangenen. Und ganz in der Gunst König Heinrichs II. stehend, begann er gleich neben der Kirche mit dem Bau eines nicht minder groß angelegten Schlosses.

          Die Freundschaft zwischen Wernher und Heinrich II. ging so weit, daß letzterer, selbst sehr religiös, vom Volk daher tief verehrt und nach seinem Tod, genau wie seine Gemahlin Kunigunde, heilig gesprochen, im Jahre 1012 für mehrere Wochen nach Straßburg kam. Wiederholt nahm er an den Messen Wernhers teil und fühlte sich dadurch so erhoben, daß er schließlich den bestimmten Wunsch äußerte, seinen Königsthron aufzugeben, um sein Leben ganz der Religion und dem Dienst in der Kirche widmen zu können. Wernher, alles andere als glücklich über diesen Entschluß, mußte nachgeben und seinem König die Priesterweihe zuteil werden lassen. Der Gehorsam sei ein wichtiges Gebot im kirchlichen Leben, gab er Bruder Heinrich mit auf den neuen Abschnitt seines Lebensweges. Und der Gehorsam verlange es von einem weisen König nun einmal, daß er sein Amt behalte und seinem Volke diene - auch und gerade als Priester. Heinrich sah dieses Argument ein und kehrte ergeben in sein weltliches Amt zurück. Zwei Jahre später ließ er sich in Rom zum Kaiser krönen.

 

Das im ottonischen Stil ab 1015 erbaute Wernher-Münster, dessen Fertigstellung erst nach 1050 erfolgte, ist der unmittelbare Vorgängerbau der heutigen Bischofskirche. Er ist insofern von Bedeutung, als seine Grundanlage beim romanischen und dann im weiteren Verlauf gotischen Neubau weitgehend übernommen wurde. Viele charakteristische Gestaltungsmerkmale des heutigen Münsters zu Straßburg gehen also auf das Wernher-Münster zurück, und darüber hinaus ist mit dem Kern des Chors und der darunter liegenden Krypta auch ein Teil des ottonischen Baus selbst bis heute erhalten geblieben. Bemerkenswert ist vor allem, daß der ottonische Kirchenbau bereits die Grundrißausmaße der heutigen Kathedrale hatte, also für die damaligen Verhältnisse von ungeheurer Größe war. Allerdings besaßen seine Schiffe keine Gewölbe wie heute, sondern flache Holzdecken.

          Eine ganze Serie von Bränden hatte das ottonische Münster im Verlauf des 12. Jahrhunderts immer wieder schwer beschädigt. Nach dem Brand von 1176 entschloß man sich daher zu einem Neubau, wobei jedoch die bestehenden Fundamente weiterverwendet werden sollten. Im Stil der staufischen Hochromanik wurde auf der Ostseite des Gebäudes mit dem Umbau des Chors und dann dem Neubau von Querhaus und Vierung begonnen. Sechzig Jahre später, gegen 1235, konnte der Neubau des Langhauses, im jetzt aufgekommenen Stil der Gotik, in Angriff genommen werden. Hundert Jahre nach dem Baubeginn des neuen Münsters, im Jahre 1276, begann man mit dem Westbau der Kirche. Kurz zuvor war es der Bürgerschaft gelungen, das Joch des Fürstbischofs endgültig abzustreifen: die Straßburger hatte 1262 Bischof Walter von Geroldseck militärisch besiegt und ließ sich 1275 von Kaiser Rudolf von Habsburg die Privilegien einer freie Reichsstadt bestätigen. Sinnfällig findet dieser Wechsel der politische Führung der Stadt seinen Ausdruck darin, daß es jetzt auch der bürgerliche Magistrat ist, der die Leitung des Münsterbaus übernimmt. Das Werk Unserer Lieben Frau wird gegründet, eine weltliche Bauhütte, die als L'Œuvre Notre-Dame bis heute besteht und die immer wieder notwendig werdenden Renovierungen am Münster vornimmt.

 

 

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