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Roland Salz                                                                      
                                                                      Meditationen über Architektur

XXIII. Die Katharinenkapelle

 

Im dritten Joch des südlichen Seitenschiffes befindet sich, als Pendant zu dem Ausgang gegenüber, über den wir die Kirche nach Norden hin verlassen hatten, ein kleines Portal. Es ist zwar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, führt es doch nur in den von den Außenschranken umschlossenen Bereich, aber es steht trotzdem nicht selten offen, zum Lüften nämlich. Und so fällt hier an manchen schönen Nachmittagen etwas Sonne in das Langhaus, ungefiltert durch buntes Glas, und macht diesen Bereich zu einem Erholungsort für denjenigen, der sich das Innere des Münsters lange und intensiv angesehen hat.

          Ursprünglich diente diese Tür den Steinmetzen, die draußen neben dem Münster arbeiteten und hier aus dem Kindelsbrunnen das Wasser holten, an dem sie reichlichen Bedarf hatten. Denn auch nach der Fertigstellung des Langhauses wurde unablässig weitergebaut, nie hörte das Münster auf, eine Baustelle zu sein, bis heute.

          1488 legte Meister Hans Hammer, den wir schon von der Kanzel her kennen, außen vor dem vierten Joch des südlichen Seitenschiffes eine kleine Schatzkammer an, die nur von außen zugänglich ist.

          Schon viel früher, um 1340, hatte man die Wände des ersten und zweiten Joches des südlichen Seitenschiffes aufgebrochen, um in dem Winkel zwischen Seitenschiff und südlichem Querhaus eine Kapelle anzulegen. Sie sollte dem damaligen Bischof Berthold von Bucheck als Grabstätte dienen. Die Kapelle wurde der hl. Katharina von Alexandrien geweiht und hat ihr Pendant in der gegenüberliegenden ehemaligen Martins- und heutigen Laurentiuskapelle.

          Die Katharinenkapelle ist zwei Langhausjoche lang und etwas weniger als ein Seitenschiffjoch breit (sie ragt damit auch etwas weniger weit nach außen als der südliche Querhausflügel). Zwar konnte man die beiden Jochwände des Seitenschiffes ganz öffnen, der dazwischen stehende Strebepfeiler mußte aber, aus statischen Gründen, natürlich belassen werden. Da dieser in die Kapelle hineinragend und fast ein halbes Seitenschiffjoch breit ist, ist der Innenraum der Kapelle praktisch zweigeteilt. Man hat heute sowohl an der Ostwand als auch auf der Westseite des Strebepfeilers Altäre aufgestellt, was den Eindruck der Zweiteilung noch verstärkt. Die Grabstätte des Bischofs befand sich in der Nordwestecke der Kapelle, dort, wo heute ihr Eingang liegt.

          Ihre Baumeister haben die Katharinenkapelle sowohl vom Innenraum als auch vom Außenbau her stark auf Höhenwirkung angelegt, was, wie wir gesehen haben, im Kontrast zum Langhaus des Münsters steht. In die beiden Joche der geöffneten Seitenschiffwand sind jeweils zwei zusätzliche Pfeiler eingestellt, die vom Boden aus bis weit in die Schildbögen hineinreichen. Sie bilden in jedem der beiden Joche eine dreifache Arkatur, deren mittlerer Bogen eine deutlich größere Spannweite aufweist als die beiden seitlichen. Die Kapelle verbleibt so zum Seitenschiff hin vollständig geöffnet, lediglich im unteren Bereich ist sie durch Gitter abgegrenzt.

          Vor dem mittleren Strebebogen steht auf einer Konsole die Patronin der Kapelle, als lebensgroße Skulptur und unter einem Baldachin, der mit einem hohen, turmartigen Aufbau versehen ist. Die vier Arkadenpfeiler werden ebenfalls von Figuren bewacht; sie sind von gleicher Größe und stehen in derselben Höhe wie die hl. Katharina, jedoch nicht auf Konsolen, sondern auf pfeilerartigen Sockeln. Von Ost nach West sehen wir den hl. Florentius von Straßburg (einen Bischof aus der Gründerzeit des Bistums), Johannes den Täufer, den Apostel Andreas und die hl. Elisabeth. Mit Ausnahme des Florentius datieren alle Skulpturen aus dem 14. Jahrhundert, sind aber von ihrer Bearbeitung her unterschiedlichen Stilrichtungen zuzuordnen. Die hl. Katharina trägt als Zeichen ihrer königlichen Abstammung eine flache Krone, während sie in der Linken Hand ein kleines, ganzes Wagenrad hält. Das Schwert in ihrer Rechten ist abgebrochen, nur noch der Griff ist zu erkennen. Es stand einstmals mit der Spitze auf dem Kopf ihres Peinigers, des Königs Maxenius, unter dem sie ihr Martyrium erlitt. Wie alle Heiligen triumphiert Katharina aber jetzt, mit dem Marterinstrument als Waffe in ihrer Hand und stehend auf dem gebeugten, als kleine, kümmerliche Figur dargestellten König. Auffallend ist der große Kopf der Heiligen, im Verhältnis zu ihrer äußerst schmächtigen, beinahe "unkörperlichen" Gestalt.

          Auf der gegenüberliegenden, der Südseite, zeigt die Kapelle einen der Arkade entsprechenden Wandaufbau. Dem mittleren Strebepfeiler des Seitenschiffes entspricht, von außen gesehen, ein breiterer, aber über Eck gestellter Strebepfeiler der Kapelle. Links und rechts von ihm wird die Südwand durch je drei weitere, schmale Strebepfeiler strukturiert. Von den somit zweimal drei Kapellenjochen sind die mittleren auch hier breiter als die äußeren. Oberhalb eines Mauersockels werden die Wandpartien zwischen den Strebepfeilern ganz in schlanke, hohe Fenster aufgelöst. Das mittlere von ihnen auf jeder Seite ist dreibahnig, die äußeren sind zweibahnig.

          Die Architektur der Katharinenkapelle weist für ihre relativ frühe, noch der Hochgotik zuzurechnenden Bauzeit eine enorme Formenfülle auf. Dies fällt besonders beim Außenbau ins Auge. Das Maßwerk in den Bogenfeldern der Fenster bestehen aus komplizierten, für die damalige Zeit neuartigen Formen. Die Fensterbögen sind zusätzlich mit Wimpergen überbaut, die ihrerseits mit Blendmaßwerk ausgefüllt sind. Auf den Strebepfeilern sitzen Fialen auf, die den oberen Rand des Baukörpers genauso verzieren wie eine maßwerkdurchbrochene Balustrade auf dem Kranzgesims.

          Im Innenraum entsprechen die überschlanken, hohen Fenster der Höhenwirkung der Arkadenbögen. Da auch die Westwand der Kapelle, jenseits des Strebepfeilers des Seitenschiffes, durch zwei weitere Fenster geöffnet ist, wird die Katharinenkapelle zu einem der hellsten Räume des Münsters. Der Besucher, der sich hier niederläßt, kann neben den Altären und den beiden in der Südwand eingelassenen Epitaphen, die als Reliefs ihre Stifter jeweils kniend und betend neben Szenen aus dem Marienleben darstellen, auch auf das in der Mitte des 16. Jahrhunderts in spätgotischem Stil neu gestaltete Gewölbe meditieren. Das Sterngewölbe mit hängenden Schlußsteinen aus dem 14. Jahrhundert war damals baufällig geworden, und man ersetzte es durch ein wunderbares Exemplar eines Gewölbes mit gewundenen, d.h. auch vom Grundriß her gekrümmten Rippen. Diese sind in Form von sich überschneidenden Kreissegmenten angeordnet, so daß sich unter den beiden flachkuppeligen Gewölbeteilen rosettenartige Muster ergeben. Ganz außergewöhnlich sind aber auch die Gewölbedienste. Sie sehen auf den ersten Blick wie kannelierte Säulen aus, mit kreisförmigen, stark profilierten Kapitellen. Die Kannelüren entpuppen sich bei genauerem Hinsehen jedoch als Birnstabwülste, der Dienst damit als eine Art von Bündelpfeiler "en miniature".

 

 

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