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Roland Salz                                                                      
                                                    Meditationen über Kunst und Landschaft

Blühender Pfirsichbaum (Souvenir de Mauve)

Vincent van Gogh, 1888

Van Gogh Blühender_Pfirsichbaum (Souvenir de Mauve)

I.3. Blühender Pfirsichbaum

 

Doch dann sind die Regentage vorbei und der Frühling ist endlich da. Jetzt, wo die Blüte der Obstbäume mit einem Schlag allerorten in der Sonne gleißt, steht Vincent mit der Staffelei und der Palette in den Gärten rings um die Stadt und malt. Ein Blühender Pfirsichbaum erhebt sich da inmitten eines Obstgartens, dessen Erdboden hell glänzt wie ein übriggebliebenes, in der Sonne dahinschmelzendes Schneefeld. Am Fuße des Schilfzauns, der in diagonaler Linie den Garten nach rechts begrenzt, zeigt sich schon das Grün der Wiese, und vom Hintergrund aus züngelt ein ebenso grüner Streifen in das vermeintliche Schneefeld hinein.

          Aber wer als Betrachter stutzig geworden ist, wer nicht an blühende Pfirsichbäume inmitten eines Schneefelds glauben konnte, der wird durch eine Briefstelle, in der Vincent seinem Bruder Theo das Bild erläutert, bestätigt: kein Schnee ist es, der rings um die Stämme schimmert, sondern der frisch umgegrabene und dadurch hell glänzen- de Erdboden.

          Der Maler hat die in der Sonne liegenden Lehmschollen wieder in dicken, pastos aufgetragenen und überwiegend waagrechten Strichen festgehalten. Im Vordergrund jedoch ändert sich die Strichrichtung und weist jetzt zentripetal auf den Ansatz des Stammes hin. Hier vorn changiert der Ackerboden, der im Hintergrund eher gleichförmig in hel- lem Grünblau gehalten ist, unterbrochen nur von dem tieferen Him- melblau der Baumschatten, zwischen Grüngelb, Ocker und Rotbraun.

          Ihren Schatten werfen Stamm und Krone des Pfirsichbaumes nach rechts, während der Schatten links von ihm von einem anderen Obstbaum stammen muß, der sich außerhalb des Bildausschnittes befindet und von dem weiter nichts zu sehen ist. Unmittelbar rechts vom Stammansatz des dargestellten Baumes zeigt sich ein kleiner Kernschatten, angedeutet durch einige schwarze Pinselstriche. Ein ebensolcher Strich ganz am linken Bildrand läßt vermuten, daß sich hier der Stamm des Baumes befinden muß, der den linken bläulichen Schatten auf das Lehmfeld wirft.

          Fast genau hinter dem dargestellten Pfirsichbaum erkennen wir – erst auf den zweiten Blick – einen weiteren. Zu sehen ist ein erneuter bläulicher Schatten, der sich bis zu dem gelben und braunen Palisa- denzaun erstreckt, wo er, in gleichbleibend blauer, ganz leicht ins grünliche gehender Färbung, bis zu dessen Spitzen emporläuft. Weiter entfernt gibt es noch mehr Bäumchen, aber sie sind so diffus skizziert, daß sie hinter den beiden vorderen Bäumen völlig zurücktreten und kaum auffallen. Nur ganz im Hintergrund, jenseits des Lehmschollen- feldes, schon auf dem grasgrünen Streifen, ist noch ein kräftigerer Baum zu erkennen. Seine Krone ragt über den Horizont hinaus, ist aber, wie auch Teile des Stamms, in genau demselben Blau wie das des Himmels gezeichnet und fließt geradezu in ihn hinein.

          Aber auch die Stämme und die untersten Astverzweigungen der beiden vorderen Bäume sind blau, unterscheiden sich farblich kaum von den bläulichen Schatten auf dem Lehmfeld. Nur ihre Kanten sind schwarz gezeichnet, während die Glanzlinien auf der Sonnenseite (links) in leuchtendem Zitronengelb hervortreten. Dann entdecken wir, daß auch im oberen Kronenbereich des vorderen Pfirsichbaums die zentralen Äste bläulich eingefärbt sind und sich dem Himmel, der noch überall durch die Kronen durchscheint, farblich annähern. Fast ist es, als ob das Blau des Himmels, ähnlich wie ein Blitz, von oben an den dicken Ästen des Baumes und dann am Stamm entlang herunterläuft und von dort aus nach allen Richtungen über den Lehmboden.

          Überhaupt fließen die Dinge über ihre Farben allerorten ineinander. Das Rotbraun der Blattknospen findet sich auf dem Lehm ganz im Vordergrund wider, ebenso wie das Rosa der Blüten. Aber dies letztere auch in den wenigen Wolken am Himmel, die von den Wattetupfern der Blüten kaum zu unterscheiden sind: das Gewölk am Himmel erscheint als die Trabanten der Blütenwolken des Pfirsich- baums.

          Die Kronen der beiden vorderen Bäume sind noch so schütter, daß auch ihre dicken Äste fast überall sichtbar bleiben. Betrachtet man sie genauer, so wird deutlich, daß sie sich – auf eine etwas unrealistische Art und Weise – verzahnen, daß sie ineinandergreifen. Obwohl die Bäume vom Ansatzpunkt ihrer Stämme im Boden her, von deren dargestellten Durchmessern, aber auch von der Lage ihrer beiden bläulichen Schatten in einiger Entfernung zueinander stehen sollten, greifen zwei dicke Äste des hinteren Baumes durch die Gabel des vorderen hindurch und schieben sich so in den Vordergrund des Bildes. Obstbäume, vielfältig beschnitten, zeigen, genau wie Wein- stöcke, oft die merkwürdigsten Verrenkungen und Richtungswechsel ihrer Äste. In dem Bild eines jungen, blühenden Birnbaums vom April des Jahres 1888 hat uns der Maler dieses Phänomen eindrücklich vor Augen gestellt. Aber im Falle der beiden Pfirsichbäume im gleißenden Lehmfeld war wohl auch die Imagination mit im Spiel. Vielleicht ganz leicht nur brauchte er das, was sich seinem Auge darbot, zu verändern, um mit dem Bild etwas auszudrücken, was ihn bewegte. Fast zur gleichen Zeit malt van Gogh ein Liebespaar, das, eng umschlungen, auf einem Weg durch die Felder davonspaziert. Dann wieder entsteht ein Stilleben mit Apfelsinenkorb, ein Stilleben mit Kartoffeln in einer gelber Schüssel und ein Stilleben mit einem Paar Holzschuhen, wohl seinen eigenen.

         Die betörend leuchtenden – und fast möchte man sagen: duftenden – Kronen der beiden Pfirsichbäume verschmelzen mit dem Himmel genauso wie mit dem Erdboden, und sie verschmelzen untereinander. In der Vielheit der Dinge eine Einheit, die sich über die Farben auf das ganze Bild erstreckt, auf die ganze Wirklichkeit, wie sie sich dem Maler offenbart. „Wahrscheinlich die beste Landschaft, die ich je gemacht habe“, schreibt Vincent van Gogh an seinen Bruder Theo.

 

 

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