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                                                    Meditationen über Kunst und Landschaft

Bildnis Patience Escalier

Vincent van Gogh, 1888

IV.2. Der alte Ochsentreiber

Van Gogh Bildnis Patience Escalier

 

Mit ihrer ganzen Gewalt sind die Hitzemonate Juli und August in Arles angebrochen. Die Getreidefelder sind abgeerntet, die Äcker werden gepflügt und liegen brach. Nur noch wenige Bilder malt Vincent von ihnen in dieser Zeit in der Crau. Statt dessen konzentriert er sich, nicht zuletzt auch aus Kostengründen, mehr auf das Zeichnen. Den Zeichenblock und die Rohrfeder kann er zudem auf ausgedehnteren Wanderungen mitnehmen, die ihn jetzt bis zum Kloster Montmajour führen, das auf dem Gemälde von der Crau-Ebene im Hintergrund, auf einer Anhöhe knapp vor dem Horizont zu erkennen war. Auch bläst der Mistral jetzt zeitweise so stark, daß selbst einem hartgesottenen Freiluftmaler wie van Gogh die Ölmalerei in der Landschaft draußen unmöglich wird.

          Vincent entdeckt aber auch neue Motive in oder nahe der Stadt, wie zum Beispiel die Rhônebarken, und wendet sich dann vor allem Stilleben und Portraits zu. Gerade die Portraitmalerei entwickelt er in diesen Monaten zur Meisterschaft. Nach dem jungen Mädchen, das er in dem Rohrstuhl mit den hohen, geschwungenen Lehnen sitzend gemalt hat und das er, in Anlehnung an den gerade gelesenen Japanroman Madame Chrysanthème von Pierre Loti, als La Mousmé anredete, und dem Postboten Joseph Roulin stellen sich nun endlich mehr Menschen ein, die bereit sind, ihm Modell zu sitzen. An Eindringlichkeit nicht zu überbieten und eines der ganz großen Meisterwerke van Goghs ist die zweite Version des Bildnisses von Patience Escalier, einem alten Bauern aus der Umgebung, geschaffen im August 1888.

          Das Brustbild zeigt den weißhaarigen Mann fast frontal, wie er, offenbar sitzend und leicht vornübergebeugt, die Hände auf einen Stock mit kugelförmigem Knauf stützt. Das Gesicht des ehemaligen Ochsentreibers und nunmehrigen Gärtners eines Landhauses in der Crau ist schmal, aber seine Schultern sind breit und der Oberkörper massig. Bekleidet ist er mit einer dunkelblau und blaugrün changierenden Jacke, die in ihrem starken Faltenwurf eher dünn zu sein scheint und an einen Arbeitsanzug denken läßt. Dazu trägt er einen Strohhut mit breiter, relativ glatter Krempe. Einen farblichen Kontrast zu dieser Arbeitskleidung liefert nicht nur das rote, eingeflochtene Hutband, sondern auch das rote Halstuch und die ebenfalls karminroten, sich unter den blauen Ärmeln weit vorschiebenden Hemdmanschetten.

          Der Gesichtsausdruck des alten Mannes ist ernst, der Kopf leicht schräg gehalten und der Blick am Betrachter vorbei in eine unbestimmte Ferne gerichtet. Aber dennoch hat man den starken Eindruck, dem Portraitierten unmittelbar gegenüberzusitzen, in kurzer Entfernung und auf Augenhöhe. Aus seiner etwas geduckten Haltung heraus schaut der Mann leicht nach oben, wir sehen die dunkle Unterseite seiner breiten Hutkrempe. Und so konzentriert, wie der Mann selbst blickt, so genau nehmen wir jede Furche auf seinen Handrücken und breiten Fingern war, jede Falte unter seinen Augen, jede der dicken, kurzen, von schwarz nach weiß changierenden Augenbrauen und Bartstoppeln.

          Der Hintergrund des Bildes ist ganz in Orange gemalt, ohne jegliche dingliche Struktur. Der Mann sitzt im Atelier, wie seine Pose unschwer verrät, aber dennoch gibt dieses Orange, die Komplementärfarbe zum Blau der Arbeitsjacke übrigens, nur durch die Farbe selbst die ungezählten Stunden und Tage wieder, die der Landarbeiter Jahr für Jahr auf den Feldern und Äckern der Crau verbracht hat. Die Hitze, der Schweiß, das blendende Licht, all das ist in diesem Hintergrund enthalten. Das ausgemergelte Antlitzes des Alten ist im Bild zwischen dem Blau der Jacke und dem Orange des Hintergrundes postiert, genau dort, wo es sein ganzes Leben verbracht hat: zwischen der harter Arbeit mit dem Boden unter seinen Füßen und einer sengender Sonne darüber.

          Der X-förmige Aufbau des Bildes, mit den Diagonalen der Schultern unten und denjenigen der Hutkrempe oben, lenkt die Aufmerksamkeit in dramatischer Weise auf das Augenpaar des Mannes. Und obwohl die dunkle Unterseite des Hutes, im Vergleich zu ihrer hellgelben Oberseite, eine Schattenpartie unterhalb der breiten Krempen erwarten lassen sollte, ist die Haut um die Augen hell und wie selbstleuchtend. In Stricheln, konzentrisch um die Augen angeordnet, ist das Inkarnat aufgetragen. Die Augen des Mannes scheinen wie von innen heraus zu strahlen und sein Gesicht zu erleuchten. Ihre Farbe ist diejenige des Hintergrunds, die die Farbe des heißen, südlichen, provenzalischen, „japanischen“ Sommers ist: Orange.

 

 

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