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                                                    Meditationen über Kunst und Landschaft

Ein Paar Schuhe

Vincent van Gogh, 1888

Van Gogh Ein Paar Schuhe

IV. Glut

 

IV.1. Schuhe und Felder

 

Vincents Arbeitseifer kennt keine Pause. Kaum zurück in Arles, stürzt er sich erneut auf die Ernteszenen draußen auf den Weizenfeldern. Im Laufschritt geht es von einem Motiv zum nächsten. Und trotzdem, diese vergänglichen Momente seines Schaffens, seines überstürzten Lebens, seines ganzen, kaum ein Jahr dauernden Aufenthaltes in Arles, hält er in Bildern fest, die ganz ruhig stehenbleiben, die wir beliebig lange betrachten können, die die Zeiten überdauert haben ohne etwas von ihrem Reiz zu verlieren.

          So etwa Ein Paar Schuhe, das er in seinem Atelier malt, mitten auf einen Boden aus Steinfliesen gestellt und offenbar noch kaum zur Ruhe gekommen. Das querformatige Bild zeigt die groben Lederschuhe in etwa natürlicher Größe, erdfarben und fleckig. Die Schnürsenkel hängen wirr umher; sie weisen starke Knicke auf: anscheinend wurden die Schuhe den ganzen Tag über getragen und sind erst vor einem Moment ausgezogen worden. Wieder stürzt der Boden, auf dem die Schuhe stehen, nach unten, fast wie in einer senkrechten Draufsicht. Die Fugen der hellbraunen Fliesen verlaufen diagonal, bringen Bewegung, gar Unruhe ins Bild. Die Fliese ganz links unten im Bild ist mit roten Schatten versehen; sonst taucht diese Farbe nur noch gelegentlich, in den feinen Linien zur Konturierung der Kacheln auf.

          Wo Rot ist, da darf, gemäß van Goghs Farbenlehre, die Komplementärfarbe nicht fehlen. Immer wieder, in fast allen seinen Arleser Bildern versucht er, durch Komplementärkontraste einen farblichen Ausgleich zu erreichen, eine Ausgewogenheit, eine Art gegenseitiger Neutralisierung. Mitten im schärfsten Gegensatz sucht er die Ruhe, genauso, wie er im ständigen, täglichen, an die Grenzen gehenden Kampf seiner inneren Energie und Kraft mit den äußeren Herausforderungen des Malens und der Motive seinen inneren Frieden erstrebt. Einige Konturen der Kacheln sind in dunklem Grün ausgeführt, vor allem aber diejenigen der Schuhe. Auch ihre Schattenpartien, die Öffnungen für die Füße zum Beispiel, zeigen diese stark mit Schwarz abgetönte Farbe.

          Die hellbraunen Kacheln sind mit kurzen, breiten, in der Richtung der Fugen verlaufenden Pinselstrichen gemalt, die zwar im Farbton changieren, aber kontinuierlich ineinander übergehen. Die Flecken auf den Schuhen dagegen sind ganz kleinteilig gestrichelt aufgetragen, wie mit dem Zeichenstift schraffiert. Von diesen beiden Arten der Pinselführung jedoch hebt sich eine Partie des Bildes gänzlich ab: rechts des linken (im Bild: rechten) Schuhs greift das Schwarzgrün der Schuhe in langen, jeweils voneinander separierten Stricheln, die parallel zur Außenkante des Schuhs verlaufen, von ihr abzustrahlen scheinen, auf die hellbraunen Kacheln über. Was vom Motiv her ein Schatten sein müßte – das Licht kommt ganz offensichtlich von links her ins Bild – gewinnt mit diesem Duktus eine Bewegung, die sich wie zu einem schweren Rütteln ausweitet. Es scheint, als müßten die Schuhe die Erschütterungen, die sie den ganzen Tag über aufnehmen mußten, zuerst noch an ihre Umgebung abgeben, bevor sie wirklich zum Stillstand kommen können.

 

Wieder nimmt der Maler, noch immer im Juni 1888, ein Weizenfeld in Angriff, diesmal im Hochformat. Immer dasselbe Motiv variierend, dringt van Gogh – wie ein Meditierender – in die existentiellen Tiefen der Dinge ein und so, sie immer klarer wahrnehmend, sein Bewußtsein ganz mit ihnen ausfüllend, in die Tiefen des gesamten Daseins. Vielleicht ist es ihm diesmal zu heiß, um bis in die endlose Weite der Crau-Ebene hinauszustapfen; oder aber er legt es bewußt darauf an, nun die Stadt selbst als Kulisse hinter den Feldern zu plazieren, in geradezu kontrapunktischer Komposition. Aber es gibt eines, das den angelegten Kontrast mühelos übergreift: alles in diesem Bild liegt unter derselben glühenden Sommerhitze, und in der Widergabe durch den Maler wird alles selbst zu dieser Hitze: das halb abgeerntete Feld, dessen Stoppel in goldgelben und gebrochenen Farbtönen so pastos gemalt sind, daß ihre Stacheligkeit dreidimensional sichtbar und taktil fühlbar wird; der Schnitter und die Garbenbinderin, die die Gesichter unter der Last eines einförmig schwefelgelben Himmels nach unten wenden; und die Stadt, deren Kirchtürme hinter dem Rauch der zu ihnen aufragenden Schornsteine und demjenigen eines vorbeifahren- den Zuges in blauem Grün unterzugehen scheinen.

 

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Weizenfeld mit Blick auf Arles

Vincent van Gogh, 1888

Van Gogh Weizenfeld mit Blick auf Arles

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