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Roland Salz                                                                      
                                                                      Meditationen über Architektur

XII. Hinter gläsernen Kulissen: Die Verwaltung

 

Eine Bibliothek von der Größe und Bedeutung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen bedarf zu ihrem Funktio- nieren eines nicht geringen Verwaltungsapparates. Dieser ermöglicht, vom Hintergrund aus, die Arbeit der zahlreichen Benutzer, genau wie die orthogonalen, kompakten Baukörper im Norden und Osten des Bibliotheksgebäudes – wo die Verwaltung tatsächlich untergebracht ist – die leichten, schwebenden Teile im Süden und Westen stützen.

          Das Wirken der Verwaltung ist zwar räumlich in den Hintergrund verlagert, aber von den Benutzern an vielen Stellen des Gebäudes ein- sehbar. Besonders von der zentralen Eingangshalle aus ergibt sich eine Vielzahl von Einblicken. So ist etwa hinter der großen Leihtheke die automatische Förderanlage sichtbar, die den Buchtransport inner- halb des Gebäudes übernimmt. Der Besucher, der das Gebäude durchwandert, wird ihr an vielen Stellen wiederbegegnen, bis hinunter zum Freihandmagazin im zweiten Untergeschoß. Im ersten Oberge- schoß des Nordteils weisen zwei Schulungs- und Konferenzräume mit ihren Glaswänden zum zentralen Innenhof, und im dritten Oberge- schoß erkennt man östlich vom Innenhof einen offenen, auf der hier verbreiterten Galerie angesiedelten Arbeitsbereich.

          Eine besondere, zwischen Benutzer- und Verwaltungsbereich vermittelnde Stellung nimmt der sog. Niedersächsische Zentralkatalog ein. Er ist im zweiten Obergeschoß des Nordteils untergebracht, in einem großen, trapezförmigen Saal, der den gesamten inneren Bezirk des nördlichen Baukörpers einnimmt. Auf drei Seiten ist er von den einbündig organisierten Büros entlang der Außenwände dieses Bau- teils umgeben, während er im Süden, zum Innenhof der Eingangshalle hin verglast ist. Dieser Katalogsaal bildet architektonisch das Kernstück des Verwaltungstraktes: ein etwas kleinerer, ebenfalls trapezförmiger Durchbruch in der darüberliegenden Geschoßdecke ermöglicht seine Belichtung von oben, durch das das dritte Obergeschoß abschlie- ßende Sheddach. Es ist nach Norden ausgerichtet und vermeidet so die direkte Sonneneinstrahlung. Die Belichtung von oben und der Durchbruch des dritten Obergeschosses verschaffen dem Verwal- tungstrakt also hier einen eigenen, allerdings nur zweigeschossigen Lichthof. Er wird von den umliegenden Gebäudepartien genauso genutzt wie der große Innenhof der Eingangshalle: im dritten Ober- geschoß ist er allseits von offenen Galerien eingefaßt, und die innen- liegenden, zu ihm hin verglasten Konferenz- und Besprechungsräume der Direktion erhalten von ihm natürliches Licht.

          Der Niedersächsische Zentralkatalog ist für den Benutzer, der kompliziertere Recherchen betreibt, bedingt zugänglich. Er kann den Katalogsaal von der ihm zugänglichen Galerie des Innenhofs der Eingangshalle aus betreten, wird aber dann sogleich von den hier arbeitenden Bibliothekaren angesprochen, die ihn bei seiner Suche unterstützen. Im Norden verschmilzt der Katalogsaal räumlich mit dem Verbindungsgang, der vor dem einbündigen Büroriegel entlangführt.

           Bei der Betrachtung der Ostfassade des Gebäudes waren die beiden bis in den Dachbereich hinein durchgängig verglasten Treppen- häuser aufgefallen. Sie öffnen sich in die die vier Etagen dieses Bau- teiles durchziehenden, enorm langen Verbindungsflure, die sie dabei gleichzeitig belichten. Natürlich belichtet werden die Gänge vor den einbündigen Büroriegeln aber zusätzlich nicht nur durch die verglasten Fassadenschächte an ihren Enden, also an Süd- und Nordseite, sondern auch aus den Büroräumen selbst: durch Türen aus Milchglas, die Transparenz – auch im übertragenen Sinne – mit Diskretion ver- binden. Die langen, vielfach belichteten Gänge lassen, je nach dem persönlichen Blickwinkel der Mitarbeiter, das Gebäude zu einem „Haus der langen Wege“ werden, oder aber zu einem solchen, das diese notwendigen körperlichen Bewegungen zu sinnlichen, den Arbeitsalltag auflockernden, vielleicht gar meditativen Erlebnissen werden läßt.

          Auf der östlichen Galerie des zweiten Obergeschosses stehend, blicken wir hinunter in die Eingangshalle der SUB. Ein stetiger Strom von Besuchern fließt zwischen den verschiedenen Punkten hin und her, verteilt sich hier, bündelt sich dort wieder. Aber die Eingangshalle ist auch der Bereich, wo man sich trifft. Nicht absichtlich, aber zufällig, oder fast zwangsläufig. Man kennt sich: die Jurastudenten unterein- ander, die Philologen, die Kunstgeschichtler und natürlich die Biblio- theksmitarbeiter. Aber auch die nicht so selbstverständlichen Kontakte zwischen diesen Gruppen können sich hier entwickeln. Die Eingangs- halle bietet Raum für ein kurzes Gespräch, ein Kennenlernen, eine Ver- abredung, ein Wiedersehen. Man verweilt gerne für einen Moment in dem großartigen und dabei unprätentiösen Innenhof. Hier kann man den Blick von der geistigen Arbeit ausruhen, in die Weite richten, ein paar Schritte tun, sich über die Fortschritte des Tages austauschen. Man kann das hier aufgestellte maßstäbliche Modell des Bibliotheks- gebäudes besehen, das Modell der Skulptur der Göttinger Sieben von Floriano Bodini oder aber eine gerade eröffnete, thematische Aus- stellung. Vielleicht fallen dem einen oder anderen auch die beiden langen, schmalen, auf zwei Ebenen übereinanderliegen Brücken auf, die die Halle im vorderen Teil, auf der Höhe zwischen Rotunde und Beginn der Freitreppe, überqueren. Sie verbinden die Lesesaalge- schosse im Südwesten mit dem Verwaltungstrakt im Norden. Eine praktische Bedeutung haben diese Brücken wohl nicht, vielleicht aber eine symbolische.

 

 

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